Zehn Millionen Tonnen Plastikmüll landen jedes Jahr in den Weltmeeren und sind damit zu einer ernsten Belastung für unseren Planeten und die Ökosysteme geworden. Leandra Hamann, Doktorandin am Fraunhofer Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT und der Universität zu Köln, hat Lösungsansätze entwickelt, um die Abwasserbelastung durch Mikroplastikpartikel mit Hilfe bionischer Filter zu reduzieren. Ist Bionik ein Ausweg aus der Plastikmüllkatastrophe? Wir haben bei der Forscherin nachgefragt
Frau Hamann, Kunststoffe sind aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken, schließlich machen sie das Leben in vielen Bereichen leichter und sicherer. Die Kehrseite der Medaille: Immer mehr Kunststoffteile und Mikroplastikpartikel vermüllen die Weltmeere, die Umwelt und Atemluft – was braut sich da zusammen?
Leandra Hamann: Durch Verarbeitung, vielfältigen Einsatz und unseren täglichen Gebrauch von Kunststoffen entstehen Mikroplastikemissionen, die in der Umwelt verteilt werden. Und zwar überall. Man kann davon ausgehen, dass in jedem Umweltkompartiment – also z.B. in der Tiefsee, am Strand, in der Luft oder im Boden – mittlerweile Mikroplastik vorhanden ist. Obwohl das Thema in der Wissenschaft aktuell viel erforscht und in der Gesellschaft diskutiert wird, wissen wir leider noch nicht viel über die kurz- und langfristigen Auswirkungen von Mikroplastik auf Organismen, Ökosysteme oder den Menschen. Insofern lässt sich noch nicht genau sagen, was da auf uns zukommt.
Warum sind Plastik und insbesondere Mikroplastik in der Umwelt so gefährlich?
Weil erhebliche Mengen davon in die Umwelt gelangen, die da einfach nicht hingehören, und diese in Zukunft eher noch mehr werden. Bisher gibt es erst einzelne Studien, die negative Auswirkungen auf Organismen aufzeigen. Da das Thema noch recht neu ist, müssen erst noch allgemeingültige Methoden und Standards entwickelt werden, um negative Effekte und Risiken vollständig abzuschätzen.
Was passiert, wenn der Plastikeintrag nicht gestoppt oder zumindest signifikant vermindert wird?
Prognosen der Ellen MacArthur Foundation zeigen, dass der Kunststoffverbrauch bis 2050 weiter rasant ansteigen wird und damit auch die Verluste in die Umwelt. Es soll dann genauso viel Masse an Kunststoff im Meer vorhanden sein wie Fische. Das ist keine schöne Vorstellung.
Sie beschäftigen sich in Ihrer Dissertation mit Lösungsansätzen aus der Natur. Welche Rolle spielt dabei die Bionik?
Ein technischer Lösungsansatz zur Reduzierung von Mikroplastik ist die Entwicklung von neuartigen bionischen Filtern, wie ich sie in meiner Forschung untersuche. Die Natur liefert für solche Techniken eindrucksvolle Vorbilder. Zum Beispiel sogenannte Suspensionsfresser. Dazu zählen Schwämme, Muscheln, manche Fische oder Bartenwale. Suspensionsfresser ernähren sich von partikulärer Nahrung und haben Mechanismen entwickelt, mit denen sie diese vom umgebenden Wasser trennen können. Insgesamt habe ich 24 verschiedene Organismen analysiert, von denen ich jetzt eine Auswahl weiter bearbeiten werde. Insgesamt stehe ich aber noch am Anfang der Entwicklung.
Können Sie dazu ein Beispiel nennen?
Schauen wir beispielsweise auf die Röhrenwürmer. Sie halten bürstenähnliche Fortsätze in die Strömung und fangen damit Partikel ein. Oder Köcherfliegenlarven: Sie spinnen ausgetüftelte Netze aus Seide zwischen Steine und Stöcke in Bäche. Oder aber Walhaie: Sie schwimmen einfach mit offenem Maul durchs Wasser und sammeln alles ein, was ihnen vors Maul kommt. Genau diese Vielfalt macht es so spannend, sich mit dem Thema zu beschäftigen und die sich daraus ergebenden, ganz unterschiedlichen Lösungswege zu entdecken und nutzbar zu machen.
Wo könnte ein solcher bionischer Filtermechanismus zum Einsatz kommen? Die Ozeane erscheinen dafür ja etwas zu groß …
Wir könnten dazu direkt an die Quelle der Wasserverschmutzung gehen. Ein bionischer Filter, der beispielsweise in Waschmaschinen eingebaut ist, wäre ein gangbarer Weg, um dort ausgewaschene Mikroplastikfasern von Textilien zurückzuhalten. Der Filter sollte möglichst aus nachwachsenden Rohstoffen konstruiert werden, lange haltbar und gut recycelbar sein. Er sollte zudem einfach in der Handhabung sein und natürlich selber kein Mikroplastik abgeben.
Das klingt nicht gerade nach einer einfachen Lösung?
Die Filterentwicklung ist in der Tat nicht so einfach. Denn nur weil etwas in der Natur passt, heißt das nicht, dass es auch in jeder beliebigen technischen Anwendung funktioniert. Aktuell bin ich auf der Suche nach einem funktionierenden bionischen Mechanismus, der zu den Anforderungen der Waschmaschine passt.
Sie haben die Quelle der Plastikvermüllung angesprochen: Welche Möglichkeiten bieten sich Konsumenten zur Plastikvermeidung und zu einer nachhaltigeren Plastikentsorgung?
Man sollte seinen Müll nicht in der Umwelt oder im Abwasser, sondern immer korrekt entsorgen. Ich habe mir angewöhnt, wenn ich unterwegs bin, Müll auf der Straße einzusammeln und bis zum nächsten Mülleimer mitzunehmen. Aber es geht natürlich schon beim eigenen Konsum los. Die Rechnung ist dabei eigentlich recht einfach: Langlebige oder alternative Produkte reduzieren den Kunststoffkonsum. Wir sollten grundsätzlich Produkte, bei denen häufig Mikroplastik entsteht, reduzieren oder besser noch vermeiden. Das beginnt bei Textilien aus Polyester und reicht bis zum Verzicht auf unnötiges Autofahren, wo Reifen- und Straßenabrieb Mikropartikel freisetzen.
Das klingt aber schon nach wirklich einschneidendem Verzicht …
Ich weiß, dies ist vielleicht für den ein oder die andere nicht immer so einfach. Aber wenn man sich der Problematik zumindest bewusst ist, kann man sein Verhalten nach und nach ändern und sein Umfeld dafür sensibilisieren. Alles fängt immer mit dem ersten Schritt an.
„Es müssen alle zusammenarbeiten. Das gilt aber nicht nur für die Mikroplastikproblematik, sondern für alle großen Umweltprobleme.“
Welche Schritte sollten dazu Politik und Wirtschaft machen?
Ich erwarte von Politik und Wirtschaft, dass sie deutliche Maßnahmen ergreifen, um Kunststoffe in der Umwelt zu vermeiden. Das kostet Geld und Zeit, das ist mit bewusst. Die Umstellung des Systems ist sicherlich nicht einfach, aber notwendig, wenn wir zukünftig keinen Plastikmüll mehr an jedem Strand, Fluss oder Straßenrand finden möchten. Es sind aber auch wie gesagt die Konsumenten gefragt, selbst aktiv zu werden, die notwendigen Änderungen von der Politik einzufordern und ihr eigenes Verhalten anzupassen. Kurzum: Es müssen alle zusammenarbeiten. Das gilt aber nicht nur für die Mikroplastikproblematik, sondern für alle großen Umweltprobleme.
Was kann die Bionik dazu beitragen?
Sehr viel. Die Natur liefert schließlich ganz verschiedene Ansätze und Lösungen, um nicht nur Produkte, sondern auch unsere Technik- und Wirtschaftssysteme nachhaltiger zu gestalten. Über Bionik kann man Formen und Materialstrukturen adaptieren und vorhandene technische Systeme optimieren.
Inwiefern ist dazu ein Denken in Systemen gefordert?
Die Natur ist Weltmeister in systemischer Entwicklung. Davon können wir nur profitieren. Ich denke da beispielsweise an nachwachsende Rohstoffe und ihre Kreislaufführung in der Natur. Darin steckt jede Menge Inspiration für einen Wandel zur Bioökonomie und für zirkuläres Wirtschaften. Das Ganze läuft unter dem Stichwort der Biologisierung und könnte zukunftsnah umgesetzt werden. Dazu braucht es aber weiter Förderung sowohl der Grundlagenforschung der Natur als auch interdisziplinärer Zusammenarbeit zwischen den Natur- und Ingenieurwissenschaften. Bioniker*innen sind darin geübt und können einen solchen Wandel mit all ihrer Erfahrung unterstützen.
Leandra Hamann studierte von 2009 – 2013 Biologie (B. Sc.) an der Universität zu Köln und von 2013 – 2016 Bionics/Biomimetics (M. Sc.) an der Fachhochschule Rhein-Waal in Kleve. Mit ihrer Masterarbeit am Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT über einen bionischen Ansatz zur Reduzierung von Mikroplastik begann sie ihre Forschung über Mikrokunststoffe.
Von 2016 – 2018 arbeitete sie anschließend als wissenschaftliche Mitarbeiterin in Projekten zu Mikro- und Makroplastik in der Umwelt im Bereich Nachhaltigkeit und Ressourcenmanagement. Im September 2018 begann sie ihre Doktorarbeit in Zusammenarbeit zwischen Fraunhofer UMSICHT und der Universität zu Köln, um Suspensionsfresser weiter zu untersuchen und ein bionisches Filtermodul zur Reduzierung von Mikrokunststoffen zu entwickeln.