„Ohne Interdisziplinarität läuft nichts“

Bionische Innovationen brauchen Fachwissen aus vielen unterschiedlichen Bereichen. Im Bionik- Kompetenznetz BIOKON bringt Dr. Rainer Erb die Disziplinen zusammen. Dr. Rainer Erb hat Biotechnologie in Braunschweig studiert. Seit 2008 ist er Geschäftsführer des deutschlandweiten Bionik-Kompetenznetzes BIOKON e.V. Der gemeinnützige Verein umfasst mehr als 100 Mitglieder aus Wissenschaft und Wirtschaft mit dem Ziel, über interdisziplinäre Innovationspartnerschaften den Wissenszuwachs und die Wettbewerbsfähigkeit aller Partner zu fördern. Ein Interview von Sabrina Jaehn (Leitende Redakteurin, WILA Bonn e.V.)

WILA Arbeitsmarkt: Warum braucht Technik natürliche Vorbilder? Was guckt sich die Technik von der Natur ab?

Dr. Rainer Erb: Es geht weniger um Abgucken als vielmehr um die nächsten Schritte. Über Analyse, Abstraktion und Anwendung – die drei A’s der Bionik – schaue ich mir etwas an, verstehe das Funktionsprinzip, übertrage es dann auf die Technik und wende es in der Praxis an. Warum, ist eigentlich ganz klar. In der Natur ist alles, was ich sehe – jede Pflanze, jedes Tier – das Ergebnis von 3,8 Milliarden Jahren Evolution, also von enormer Erfahrung und Optimierung. Jeder Organismus, der dort überlebt hat, für den ist es der Normalfall, auf Krisen zu reagieren und effizient mit seinen Ressourcen umzugehen – sonst würde er nicht überleben. Daher sind wir natürlich gut beraten, wenn wir auf die Natur schauen und dann versuchen, diese tollen Beispiele auf unsere modernen Anwendungen zu übertragen.


Können Sie ein Beispiel nennen?

Nehmen wir mal die Haihaut. Sie haben bestimmt noch nie einen Hai gesehen, dessen Haut irgendwie bewachsen ist. Im Gegensatz dazu wachsen an Schiffsrümpfen Muscheln und Algen – das nennt man Fouling. Dadurch verbrauchen die derart bewachsenen Schiffe bis zu 40 Prozent mehr Treibstoff. Wenn ich verstehe, wie der Hai das mit bestimmten Rillen und gegeneinander beweglichen Schuppen in der Haut macht, die dazu führen, dass dort keine solche Schicht aufwächst, kann ich schlussendlich daraus einen Anti-Fouling-Lack für Schiffe entwickeln. Und statt hier auf herkömmliche toxische Anstriche zu setzen, die ins Wasser übergehen und sich in den Nahrungsketten anreichern, kommt der bionische Lack ganz ohne giftige Stoffe aus. Gleichzeitig kann er die Treibstoffkosten pro Schiff und Tag um 30.000 US-Dollar reduzieren. Hier gehen ökologischer und ökonomische Benefit Hand in Hand.


Welche Fachkräfte sind in der Bionik gefragt?

Das sind zum einen Biologinnen und Biologen, aber auch Ingenieure, weil hier ja Biologie und Technik zusammenkommen. Ebenso brauchen wir aber Fachleute aus den Bereichen Bau, Architektur, Physik, Chemie und der Materialforschung. Insbesondere durch den 3D-Druck sind wir zunehmend in der Lage, komplexe Strukturen und Formen herzustellen und den nicht-homogenen, hierarchischen Aufbau bionisch optimierter Strukturen fertigungstechnisch umzusetzen. Aber ohne Interdisziplinarität läuft da nichts. Das Neuerfinden technischer Innovationen auf Basis dieses Reservoirs in der Natur braucht in aller Regel die Expertise aus verschiedenen Bereichen.


Welche Kompetenzen können speziell Biologinnen und Biologen einbringen?

Alles, was ein Biologe lernt, ist da gefragt, weil Bionik so ein weites Feld ist – ob ich jetzt über Botanik rede oder über Zoologie. Ich brauche stoffwechselphysiologische Aspekte genauso wie genetische. Tatsächlich kann die gesamte Bandbreite der Ausbildung, die eine Biologin oder ein Biologe mitbringt, in der Bionik zum Einsatz kommen. Ich brauche natürlich nicht jedes Fachwissen in jedem Projekt, aber wer offen ist und die Bereitschaft mitbringt, sich mit technisch inspirierten Kollegen abzustimmen, ist mit einem Biologiestudium gut vorbereitet, um in dem Feld aktiv zu werden.

 

Und wie kann man sich die Zusammenarbeit zwischen den Disziplinen vorstellen?

Wichtig ist, es geht nicht nur darum, den Staffelstab weiterzugeben, wenn man an den Grenzen der eigenen Expertise angekommen ist. Es ist vielmehr ein Wechselspiel, ein Hin und Her über die Disziplingrenzen hinweg. Das heißt, jeder bringt mit dem, was er in seinem Studium gelernt hat, etwas ein, aber allein kommt er nicht zum Ziel. Deshalb braucht es interdisziplinäre Teams. Beim Beispiel der Haihaut brauche ich also unter anderem einen Biologen, der sich mit dem Hai auskennt und sich mit dem Materialwissenschaftler über die Umsetzung des Anstrichs austauscht. Beide müssen immer wieder im Gespräch sein, gemeinsam ausprobieren und diskutieren, damit die Entwicklung hinterher tatsächlich in eine Anwendung mündet. Denn wir reden hier nicht über Forschung im Elfenbeinturm. Bionik verbessert tatsächlich Produkte und Dienstleistungen.


Werden zurzeit Fachkräfte gesucht?

Absolut. Fachkräfte werden händeringend gesucht. Häufig ist das Recruiting von Fachkräften der Faktor, der das Erreichen der Ziele in Unternehmen am meisten gefährdet. Es gibt im BIOKON-Netzwerk Unternehmen, die nicht in der Lage sind, ihre Wachstumsziele zu erreichen, obwohl sie es technologisch und innovatorisch könnten. Der Grund ist, dass sie nicht die passenden, gut ausgebildeten Fachkräfte bekommen. Das heißt, wer hier mit den richtigen Kompetenzen in das Berufsfeld geht, hat zurzeit sehr gute Chancen.

 

Erstveröffentlichung des Interviews:
WILA Arbeitsmarkt – Infodienst für Berufe in Umwelt und Natur
www.wila-arbeitsmarkt.de/blog