„KAFFEEKAPSELN SIND EINE WOHLSTANDSVERIRRUNG, DIE WIR NICHT BRAUCHEN“

Kürzlich in der Bahn: Die Zeitschrift „mobil“ hatte eine Sonderausgabe „Vielfalt unserer Erde“ aufgelegt. Darin ein Interview mit Bundesentwicklungsminister Gerd Müller mit einer Einladung, angesichts der planetaren Grenzen Entwicklung und Nachhaltigkeit noch viel globaler zu denken. Wir baten das Ministerium darum, dies auch #imgrünenbereich bringen zu dürfen. Wir dürfen – lest selbst.

HERR MÜLLER, DER VERGANGENE REKORDSOMMER WAR EXTREM HEISS UND TROCKEN. BESORGT SIE DAS ALS ENTWICKLUNGSMINISTER?

Gerd Müller: Sehr sogar. Der Rekordsommer und die generelle Erderwärmung der letzten Jahre zeigen, dass der Klimawandel in vollem Gange ist. In vielen Regionen der Welt hat er längst lebensbedrohliche Folgen. Bei meinem Besuch im Grenzgebiet zwischen Äthiopien und Somalia habe ich das selbst gesehen. Dort hat es seit drei Jahren nicht mehr geregnet. Die Pflanzen sind verdorrt, Tiere liegen tot am Straßenrand und die Menschen können nur durch internationale Hilfe überleben. Regnet es in Zukunft nicht, sind Millionen Menschen in der Region gezwungen, ihre Heimat zu verlassen.

… WEGEN EINES KLIMAWANDELS, DEN ANDERE VERURSACHT HABEN …

Ja, hauptverantwortlich sind die Industrieländer – die Menschen in Afrika, aber auch in Bangladesch und vielen anderen Entwicklungsländern sind die Hauptbetroffenen. Wir stoßen durchschnittlich zehn Tonnen CO2 pro Kopf aus. In Somalia sind es nur 100 Kilo.

ALSO HABEN WIR IN DEN INDUSTRIELÄNDERN EINE BESONDERE VERANTWORTUNG?

Ja, wir müssen unser Wachstumsmodell nachhaltig verändern. Denn wir machen nur 20 Prozent der Weltbevölkerung aus, verbrauchen aber 80 Prozent der Ressourcen und hinterlassen zwei Drittel der Umweltverschmutzung.

GLEICHZEITIG LEBEN IMMER MEHR MENSCHEN AUF UNSEREM PLANETEN …

Die Welt wächst jedes Jahr um 85 Millionen Menschen – das ist einmal Deutschland. In Afrika verdoppelt sich die Bevölkerung in den nächsten 30 Jahren. Die Überlebensfrage für uns alle ist: Wie ernähren wir bis zu zehn Milliarden Menschen. Und vor allem: Wie stillen wir den Hunger nach Energie, ohne unsere Erde vollständig zu überlasten? Ich bin fest überzeugt: Die Herausforderungen sind lösbar. Wir haben das Wissen und die Technologie, durch erneuerbare Energien Afrika zum grünen Kontinent zu machen.

IN DEUTSCHLAND SETZEN WIR AUF DIE ENERGIEWENDE, TAUGT DAS MODELL AUCH IN AFRIKA?

Energiewende funktioniert nur, wo die Menschen überhaupt Zugang zu Energie haben. Hunderte Millionen Afrikaner haben aber bislang noch gar keinen Strom. 1.200 Kraftwerke wären nötig, um sie alle zu versorgen. Wenn dieser gigantische Energiehunger auf Basis von Öl und Kohle gestillt würde, brauchen wir in Europa nicht weiter über Klimaschutz diskutieren. Die Zukunft unseres Klimas entscheidet sich in China, Indien und vor allem in Afrika.

ERNEUERBARE ENERGIEN SIND ALSO AUCH FÜR AFRIKA DIE ZUKUNFT. WAS MUSS SONST PASSIEREN?

Für die wachsenden Mega-Städte besonders in Indien und Afrika brauchen wir neue Mobilitätskonzepte. Sonst werden die Menschen im Smog ersticken. Gemeinsam mit einheimischen IT-Spezialisten, VW, Siemens und SAP bauen wir etwa in Ruanda ein hochmodernes e-Mobilitätskonzept auf, das den Stadtverkehr dort revolutionieren wird. Die Digitalisierung bietet uns völlig neue Möglichkeiten. Afrika macht hier riesige Sprünge. In vielen Ländern Afrikas habe ich inzwischen besseren Handyempfang als an vielen Orten in Deutschland.

NACHHALTIGKEIT HAT ABER AUCH MIT UNSEREM KONSUM ZU TUN …

Genau. Wir müssen Globalisierung gerecht gestalten. Zum einen beim Ressourcenverbrauch. Wir bräuchten drei Erden, wenn alle Menschen so leben und konsumieren würden wie wir in Deutschland. Und zum anderen bei der gerechten Verteilung des Wohlstands. Es ist wichtig, dass wir Verbraucher uns Gedanken machen: Unter welchen Bedingungen werden unsere Alltagsprodukte hergestellt? Denn am Anfang steht immer ein Mensch, der von seiner Arbeit leben muss.

ZUM BEISPIEL BEI UNSERER KLEIDUNG …

Nehmen Sie die Jeansproduktion: Eine Näherin in Äthiopien schuftet dafür 16 Stunden täglich an sechs Tagen in der Woche und verdient dabei nur 15 Cent pro Stunde. Damit schafft sie es kaum, ihre Familie zu ernähren. Das darf uns doch nicht egal sein. Ein Lohn von 25 Cent pro Stunde würde schon ausreichen. Die Jeans würde sich in der Produktion lediglich um einen Euro verteuern, von fünf Euro auf sechs.

WAS KANN ICH ALS VERBRAUCHER HIER TUN?

Die Macht liegt beim Verbraucher, faire Produkte zu kaufen. Bei der Kleidung entwickeln wir gerade ein Verbrauchersiegel für faire Kleidung.

FAIR GEHANDELT HEISST ABER DOCH AUCH TEURER …

Das Beispiel mit der Jeans zeigt ja: Es kostet nicht viel, die Menschen anständig zu bezahlen. Oder nehmen Sie Kaffee. Von den 8 bis 12 Euro für ein Kilo Kaffee entfallen nur 50 Cent auf die Bohnen. Davon können die Menschen doch nicht vernünftig leben. Nötig wären 2 Euro. Der Kaffee muss dadurch nicht gleich teurer werden. Denn wir sind eines von ganz wenigen Ländern in Europa, die neben der Mehrwertsteuer auch noch eine Kaffeesteuer erheben. Immerhin 2,19 Euro pro Kilo! Wir schöpfen viermal so viel für die Steuer ab, wie wir für die Kaffeebohnen bezahlen – das ist nicht gerecht!

UND DESHALB WOLLEN SIE DIE KAFFEESTEUER FÜR FAIREN KAFFEE ABSCHAFFEN?

Richtig. Deswegen habe ich Finanzminister Olaf Scholz an seinen eigenen Vorschlag von vor zwei Jahren erinnert. Als Oberbürgermeister von Hamburg hat er vorgeschlagen, die Kaffeesteuer für fairen Kaffee auszusetzen. Für die Verbraucher würde fairer Kaffee dadurch so günstig wie herkömmlicher Kaffee. Und die Menschen auf den Kaffeeplantagen bekämen endlich anständige Einkommen für ihre harte Arbeit.

HAND AUFS HERZ: TRINKEN SIE NUR NOCH FAIREN KAFFEE?

Wo immer es geht, ja. Wir müssen bei uns selbst anfangen, jede und jeder Einzelne von uns. Bei mir im Ministerium servieren wir nur noch fairen Kaffee und Tee. Bei Veranstaltungen bieten wir auch einfaches Leitungswasser an, um möglichst klimaschonend zu sein. Auch bei der Deutschen Bahn ist der Kaffee fair, geht doch!

WÜRDEN SIE DENN FAIREN KAFFEE AUS KAFFEEKAPSELN TRINKEN?

Kaffeekapseln sind eine unglaubliche Ressourcenverschwendung für ein bisschen mehr Bequemlichkeit. Drei Milliarden Kapseln kaufen wir Deutschen jedes Jahr. Für die Produktion wird so viel CO2 ausgestoßen wie von zehntausenden PKW im Jahr! So etwas ist für mich eine Wohlstandsverirrung! Kaffee aus der Kapsel, noch dazu im Einwegbecher mit Plastiklöffel und -deckel ist wirklich nicht nachhaltig.

DER PLASTIKVERBRAUCH HAT SICH IN DEN LETZTEN 20 JAHREN VERDOPPELT …

Wenn wir so weitermachen, wird 2050 mehr Plastik als Fisch in unseren Weltmeeren schwimmen. Die Antwort kann also nur lauten: Wir müssen Müll vermeiden, wo wir können – und Plastikmüll ganz besonders.

WAS GAR NICHT SO EINFACH IST, WENN MAN SICH IM SUPERMARKT SO UMSCHAUT …

Eingeschweißte Gurken und Bananen müssen der Vergangenheit angehören. Allein die Plastikflaschen, die wir jedes Jahr in Deutschland verbrauchen, würden übereinandergestellt 13 Mal von der Erde bis zum Mond reichen. Auch Mikroplastik in Duschgel oder Haarshampoo braucht kein Mensch. Mit diesen winzigen Plastikteilchen verschmutzen wir unser Wasser, ohne dass wir es merken. Das sollten wir so schnell wie möglich verbieten. Dafür gibt es auch längst biologisch abbaubaren Ersatz.

WIR SAMMELN, SORTIEREN UND RECYCELN DOCH?

Aber noch viel zu wenig wird wiederverwertet – selbst in der EU sind es gerade mal 30 Prozent. Wir müssen die Recyclingquoten also ganz erheblich steigern und es muss insgesamt weniger Plastik in Umlauf kommen.

DA MUSS ICH BEIM NÄCHSTEN EINKAUF JA AUF VIELES ACHTEN. TUN SIE DAS IM MINISTERIUM DENN AUCH?

Wir müssen und werden mit gutem Beispiel vorangehen. Bis 2020 wollen wir das erste klimaneutrale Ministerium sein. Und wir versuchen, wo immer es geht, fair oder nachhaltig zu beschaffen. Die öffentliche Hand hat hier einen großen Hebel. Jedes Jahr kaufen Behörden und Kommunen für 350 Milliarden Euro ein.

WAS KANN DER STAAT KONKRET MACHEN?

Krankenhäuser könnten beispielsweise sofort auf faire Bettwäsche und Arztkittel umstellen. Oder Computer sollten den anspruchsvollen Kriterien zur Energieeffizienz entsprechen. In meinem Ministerium achten wir auf Nachhaltigkeit und ich hoffe, dass viele andere folgen.

HERR MÜLLER, WANN SIND SIE ZULETZT BAHN GEFAHREN?

Erst vor kurzem bin ich von Berlin nach Hamburg gefahren. Wer Bahn fährt, schützt die Umwelt. Deswegen muss das Bahnangebot modernisiert und ausgebaut werden. Und Dieselloks aus dem letzten Jahrhundert, die in vielen ländlichen Räumen – auch bei mir im Allgäu – noch immer die Luft verschmutzen, müssen schnellstens ersetzt werden.

 

#MÜLLERFAIR
bmz.de/agenda2030

 

Foto: Bundesentwicklungsminister Gerd Müller, CSU. Copyright: Thomas Trutschel/ photothek.net